Braucht unser Gehirn Zucker?

Geschrieben von Marina Lommel
6 Minuten Lesezeit
17. Mai 2015 zuletzt aktualisiert am 27. April 2023 von Annalena Gebhardt

Lass uns mal Klartext reden. Braucht unser Gehirn jetzt Kohlenhydrate? Oder nicht?

Wenn du 3-6 Mal am Tag kohlenhydratreiche Mahlzeiten und Snacks zu dir nimmst, dann verbrennen die Nervenzellen deines Gehirns Kohlenhydrate um Energie zu gewinnen. Genauer gesagt nutzen sie einen ganz bestimmten Vertreter der Kohlenhydrate: die Glukose. Weil das Gehirn ausreichend Glukose zur Verfügung hat, sieht es gar nicht ein, sich mal die anderen Möglichkeiten anzusehen. Denn… „Was der Bauer nicht kennt, frisst er nicht“.

Inhaltsverzeichnis

    1. Alles eine Sache des Trainings

    Wenn du aber deinen Fettstoffwechsel trainierst, wenn du einmal ganz konsequent auf Kohlenhydrate verzichtest, dann ist das Gehirn gezwungen sich nach einer Alternative umzusehen und alte Gewohnheiten zu durchbrechen. Wir hängen doch auch immer wieder an unserem inneren Schweinehund fest. Bis wir einmal wirklich gezwungen sind etwas zu ändern. Dann merken wir oft, dass das gar nicht so schwer ist.

    2. Das Gehirn nimmt Ketonkörper dankend an

    Auch für das Gehirn ist die Umstellung eigentlich gar nicht so schwer: Bereits nach 3 Tagen ohne Kohlenhydratzufuhr ist die Verbrennung von Ketonkörpern im Gehirn, die sogenannte Ketolyse, erhöht. Die Ketonkörper decken dann etwa 25% des Energiebedarfs des Gehirns. Nach 5-6 Wochen decken sie bereits die Hälfte. Diese Untersuchungen wurden meist an Menschen durchgeführt, die komplett gefastet haben. Wenn man einer ketogenen Diät folgt, passiert die Umstellung ein klein wenig langsamer. Insgesamt kann man sagen: Je höher die Konzentration von Ketonkörpern im Blut ist, desto mehr Ketonkörper zieht das Gehirn zur Energiegewinnung heran.

    3. Spezielle Transporter in der Blut-Hirn-Schranke

    Nicht jedes Molekül, nicht jeder Stoff kann einfach mal so einen Abstecher ins Gehirn machen. Das Gehirn ist ein sehr exklusiver Club. Die Blut-Hirn-Schranke sorgt dafür, dass nur geladenen Gästen Eintritt gewährt wird. Ok, ein paar fremde Eindringlinge gibt’s immer. Fettlösliche Substanzen wie Alkohol oder Nikotin können sich – leider – einfach zwischen den Zellen hindurch quetschen. Ketonkörper hingegen quetschen sich nicht heimlich durch, sie kommen über den roten Teppich direkt durch den Haupteingang. Denn die Blut-Hirn-Schranke besitzt spezielle Transporter, die Ketonkörper gezielt aufnehmen: Den Monocarboxylat-Transporter MCT (hat nichts mit MCT-Öl zu tun). Dieser MCT kann mit etwa der selben Effektivität Ketonkörper aufnehmen, wie der Glukosetransporter GLUT-1 Glukose aufnehmen kann.

    4. Ketonkörper ohne Kohlenhydratverzicht

    Vielleicht hast du schon einmal davon gehört, dass unser Körper MCT-Öl (von middle chain triglycerides = mittelkettige Fettsäuren) besser zu Ketonkörpern umwandeln kann als anderes Fett. Das stimmt tatsächlich, und durch MCT-Öl können sogar in Anwesenheit von Kohlenhydraten Ketonkörper entstehen. Zudem gibt es mittlerweile sogar die Möglichkeit Ketonkörper direkt aufzunehmen. Jetzt könnte man meinen „super“, hau ich mir halt jeden Morgen einen Kaffee mit MCT-Öl rein und esse dazu meine Käsesemmel. Wozu noch auf Kohlenhydrate verzichten? So einfach ist das nicht. Denn das Gehirn muss langsam daran gewöhnt werden Ketonkörper aufzunehmen. Die Aufnahmekapazität steigt erst mit der Zeit.

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    5. Fazit

    Das Gehirn braucht Zucker. Solang es nie daran gewöhnt wurde, Ketonkörper zu nutzen. Sobald das Gehirn regelmäßig Ketonkörper geliefert bekommt, nimmt es sie dankbar an und verwendet immer mehr Ketonkörper zur Energiegewinnung. Es wird unabhängig von Zucker. Äußerst praktisch, denn Ketonkörper entstehen aus Fett und das haben wir immer mit dabei. Es gibt also kein Nachmittagstief mehr – das Gehirn ist rund um die Uhr optimal versorgt. Ich halte eine ketogene Diät nicht für die optimale Dauer-Lösung für alle. Aber es lohnt sich, diesen Weg einmal zu erkunden.

    Und noch einmal - diesmal in Wissenschafts-Deutsch

    Wenn du dich zu den Science-Fans und Pubmed-Nerds zählst: Hier die geballte Ladung Wissenschafts-Geschwurbel und weiterführende Literatur. Wenn dir das zu viel wird: kein Problem! Oben ist das wichtigste schon gesagt.

    Unter normalen Bedingungen mit regelmäßiger Nahrungszufuhr oxidieren die Neuronen des Gehirns nahezu ausschließlich Glukose zur ATP-Produktion, und Ketonkörper leisten nur einen sehr geringen Beitrag zur Energieversorgung. Erst in einer ketogenen Stoffwechsellage werden Ketonkörper vermehrt als Energieträger herangezogen. Bereits nach 3-tägigem Fasten ist die Ketolyse im Gehirn erhöht, sodass Ketonkörper etwa 25 % des zerebralen Energiebedarfs decken (Hasselbalch SG et al., 1994).

    In einer Studie aus dem Jahr 1967 zeigte die Katheterisierung von Blutgefäßen des Gehirns adipöser Patienten, bei der man die arteriovenöse Differenz der Metaboliten maß, dass 3HB und AcAc nach 5- bis 6-wöchigem Fasten für mehr als die Hälfte des zerebralen Sauerstoffverbrauchs verantwortlich waren (Owen OE et al., 1967). Heutzutage verbieten sich solch invasive Humanstudien zumeist aus ethischen Gründen. Deswegen werden für neuere Erkenntnisse zum zerebralen Metabolismus der Ketonkörper hauptsächlich Studien an Nagetieren durchgeführt und vereinzelt Humanstudien mit Positionen-Emissions-Tomographie (PET) und radioaktiv markiertem AcAc oder 3HB als Tracer. Häufiger werden Untersuchungen bei Nahrungskarenz durchgeführt als bei ketogener Diät.

    Eine PET-Studie an fünf gesunden Männern, bei der nach Injektion von
    R-beta-[1-11C]Hydroxybutyrat der zeitliche Verlauf des Tracers im Gehirn untersucht wurde, fand eine starke Korrelation zwischen der Utilisation von 3HB im Gehirn und der Plasmakonzentration des Ketonkörpers (Blomqvist G et al., 1995). Der Transport der Ketonkörper über die Blut-Hirn-Schranke scheint der geschwindigkeitsbestimmende Schritt zu sein (Blomqvist G et al., 2002). Diese Erkenntnisse passen zu Feststellungen an Versuchen mit Mäusen (Pifferi F et al., 2011).

    Während die Ketonkörper in andere Gewebe über die Diffusion durch Zellmembranen gelangen, wird ihr Transport über die Blut-Hirn-Schranke von Monocarboxylat-Transportern (MCT) vermittelt, welche außerdem Pyruvat, Laktat und α-Ketosäuren transportieren (Bouteldja N et al., 2014). Es existieren 2 Subtypen des MCT im Gehirn. MCT-1 in den Endothelzellen der Blut-Hirn-Schranke und MCT-2 in den Neuronen und Glia-Zellen. Der kM-Wert des MCT ist ähnlich dem kM-Wert von GLUT-1, der die Glukoseaufnahme in das Gehirn katalysiert.

    Die Tatsache, dass die Ketonkörperkonzentration im Gehirn trotz vergleichbarer Blutkonzentration bei Fasten höher ist als bei akuter Ketonkörperinfusion, zeigt, dass Ketonkörper zwar immer in das Gehirn aufgenommen werden können, die Aufnahmekapazität aber induzierbar ist und ihr volles Ausmaß erst nach einer Adaptionsperiode durch langanhaltendes Fasten oder langfristige Ketogene Diät erreicht (Bouteldja N et al., 2014). Eine Besonderheit des zerebralen Ketonkörpermetabolismus ist, dass möglicherweise bestimmte Zellen im Gehirn – Astrozyten – zur Ketogenese fähig sind (Auestad N et al., 1991; Guzmán M und Blázquez C, 2001).

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    Literaturquellen:

    Auestad N, Korsak RA, Morrow JW, Edmond J. 1991. Fatty Acid Oxidation and Ketogenesis by Astrocytes in Primary Culture. J Neurochem, 56(4): 1376–1386.

    Blomqvist G, Alvarsson M, Grill V, Heijne G von, Ingvar M, Thorell JO, Stone-Elander S, Widén L, Ekberg K. 2002. Effect of acute hyperketonemia on the cerebral uptake of ketone bodies in nondiabetic subjects and IDDM patients. Am J Physiol Endocrinol Metab, 283(1): E20-E28.

    Blomqvist G, Thorell JO, Ingvar M, Grill V, Widén L, Stone-Elander S. 1995. Use of R-Beta-1-11C-Hydroxybutyrate in PET Studies of Regional Cerebral Uptake of Ketone Bodies in Humans. Am J Physiol, 269(5): E948-E959.

    Bouteldja N, Andersen LT, Møller N, Gormsen LC. 2014. Using Positron Emission Tomography to Study Human Ketone Body Metabolism a Review. Metabolism, 63(11): 1375–1384.

    Guzmán M, Blázquez C. 2001. Is there an Astrocyte-Neuron Ketone Body Shuttle. Trends Endocrinol Metabol, 12(4): 169–173.

    Hasselbalch SG, Knudsen GM, Jakobsen J, Hageman LP, Holm S, Paulson OB. 1994. Brain metabolism during short-term starvation in humans. J Cereb Blood Flow Metab, 14(1): 125–131.

    Owen OE, Morgan AP, Kemp HG, Sullivan JM, Herrera MG, Cahill GF. 1967. Brain Metabolism during Fasting. J Clin Invest, 46(10): 1589–1595.

    Pifferi F, Tremblay S, Croteau E, Fortier M, Tremblay-Mercier J, Lecomte R, Cunnane SC. 2011. Mild Experimental Ketosis Increases Brain Uptake of 11C-Acetoacetate and 18F-Fluorodeoxyglucose a Dual-Tracer PET Imaging Study in Rats. Nutr Neurosci, 14(2): 51–58.

    Der Artikel wurde geschrieben von

    Marina Lommel

    Marina gründete Foodpunk nach ihrem Abschluss in Ernährungswissenschaften und ist aktuell CEO des Unternehmens. Während ihres Studiums arbeitete sie in verschiedenen Bereichen, darunter in der Wissenschaftsredaktion beim Radio, Redaktion beim TV und Uni-Wissensmagazin sowie im Labor am DZNE in der Parkinsonforschung. Marina ist außerdem Autorin von 5 ernährungswissenschaftlichen Sachbüchern.

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